
Es ist erstaunlich, wie viele Magnolienbäume es in der Nachbarschaft gibt. Jetzt, wo ich als Ausgleich zum HomeOffice häufiger zu Fuß unterwegs bin, fallen mir an jeder zweiten Ecke diese wunderschön blühenden Bäume auf. Fast genauso unauffällig, aber weniger schön, sind Verteilerkästen für Strom, Telefon oder Internet. Meistens grau, meistens schmutzig, gerne auch schon mal beklebt mit Veranstaltungsplakaten. Angefangen hat es beim meinem Bäcker um die Ecke. Am Krefelder Bismarckplatz klebte plötzlich ein Bild eben dieses Platzes, aber aus dem letzten Jahrhundert auf dem Verteilerkasten.

Wenn ich ehrlich bin, hat mich das zunächst nicht übermäßig vom Hocker gerissen. Einige Zeit später fiel mir dann ein Bild vom Straßenzug gegenüber auf einem weiteren Verteilerkasten auf, außerdem ein Bild von Albrecht Dürer an der gleichnamigen Straße ein paar Blocks weiter. Neben dem Bismarckviertel mit der Goethe- oder der Lessingstraße gibt es in der Nähe das sogenannte Musiker- und Dichterviertel mit Straßen wie der Dürer-, der Brahms- und der Richard-Wagner, der Haydn-, der Schumann und der Mozartstraße.
Alle diese Straßen haben Verteilerkästen und einige davon können sich seit neuestem sehen lassen. Nachdem die Kästen gereinigt wurden, kam erstmal grüne Farbe drauf und danach auf der Vorder- und teilweise auch auf der Rückseite Bilder mit Stadtgeschichte und namensgebenden Persönlichkeiten. Entstanden ist eine Art Open Air Galerie, genau das richtige in Coronazeiten, wo die Museen mal wieder zu sind und Spazierengehen die neue Freizeitbeschäftigung ist.
So richtig Fahrt kam die Sache, als die hiesige Tageszeitung Anfang März von der Aktion ein paar Straßenecken weiter auf der Roonstraße berichtete. Um die Ecke befindet sich die Villa Merländer, einigen vermutlich als NS-Dokumenatitonsstätte der Stadt Krefeld bekannt. Sie macht die deutsch-jüdische Geschichte in Krefeld erlebbar. Die Verteilerkästen sind nun die Gelegenheit auf jüdische Geschichte in dem Viertel aufmerksam zu machen, ohne den Zwang zu haben, in ein Museum gehen zu müssen.
Da hier gleich vier Kästen nebeneinander stehen, kann man an dieser Stelle sozusagen Geschichtsunterricht im vorbeigehen erleben. Zusammen mit der NS-Dokumentationsstätte und dem Stadtarchiv Krefeld wurden Bilder von Menschen und Familien ausgesucht, die hier einmal gewohnt oder gearbeitet haben. Falls ihr vom Bismarckplatz hierher gelaufen seid, habt ihr vermutlich schon ein halbes Dutzend Kästen rund um den Platz inspiziert.
Jetzt heißt es Augen offen halten, denn auf einer Strecke von rd. 2 km habe ich zwischen Bismarck-, Hohenzollern-, Richrd-Wagner-, Brahms-, Dürer-, Roon- und Crousstraße mehr als 20 Verteilerkästen mit mehr oder weniger berühmten Personen oder Ereignissen gefunden. Warum die Brahms- oder die Richard-Wagner-Straße so heißt wie sie heißt, versteht sich vermutlich von selbst, warum aber die Crousstraße nach Ernst Crous (Kirchenhistoriker und Bibliothekar) benannt wurde, war mir nicht bekannt.
Ebenso nicht, warum die Jentgesallee so heißt wie sie heißt. Allerdings mußte ich hier etwas recherchieren. Wilhelm Jentges war der Sohn eines Seidenfabrikanten, Unternehmer, Komunalpolitiker und 1858 Stadtverordneter in Krefeld. Zum guten Schluß habe ich noch den Verteilerkasten mit dem Namen Hunziger gefunden. Hunziger … hat die nicht mal Wetten daß … moderiert. Ach ne, ein gewisser Gerhard Hunziger (auf gleichnamiger Straße, deren Namen ich nicht einmal kannte) war Unternehmer, Tuchfabrikant und Weinhändler und ein gutes Jahr lang (1814-1815) Bürgermeister der Stadt Krefeld.
Dann war da noch das erste Fertighaus, die Rheinbrücke … und .. und .. und. Weitere Verteilerkästen der Bürgergemeinschaft Bismarckviertel unter Leitung von Vorstandsmitglied Reno Müller sind vermutlich in Arbeit, denn ich habe weitere, bisher unbeklebte, Kästen in dunkelgrün bereits gesehen. Ich finde das, nach anfänglicher Skepsis, eine sehr interessante Geschichte. Jetzt bin ich aber ganz abgekommen von den eingangs erwähnten Magnolien, daher zum Abschluß noch ein paar Blütenbilder (Magnolie und Kirsche, ebenfalls beim Rundgang durchs Viertel entdeckt).
Sehr schöne Idee! Hier in Lüneburg gibt es eine Sprayer-Gruppe namens Dosenfutter, die sich die Verteilerkästen und andere nicht so hübsche Fleckchen vorgenommen hat, und auch hier kann das Ergebnis sich sehen lassen:
https://dosenfutter.org/gallery/
Ja, sowas gefällt mir auch ausgesprochen gut. Gibt’s hier auch schon mal, z.B. in Duisburg.