Lange Nacht der Industrie 2014

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Was der Maus Türöffnertag für die Kinder ist, zeigt die „Lange Nacht der Industrie“ für Erwachsene. Klingt verrückt, ist aber so :-). Wann seid ihr in eurer Nachbarschaft oder eurer Stadt schon mal auf die Suche nach Industriebetrieben gegangen? Wißt ihr, was in eurer Stadt hergestellt wird? Seht ihr, ich auch nicht? Bei der Langen Nacht der Industrie, die dieses Jahr zum vierten Mal stattfand, kann man hinter die Kulissen gucken, vorausgesetzt man hat das Glück einen der begehrten und schnell ausgebuchten Plätze zu bekommen. Treffpunkt war am Donnerstag gegen 17.00 Uhr der Sprödentalplatz in Krefeld, auf dem die Busse auf die Gäste warteten. Natürlich findet die Lange Nacht der Industrie einmal im Jahr auch in anderen Teilen der Republik statt, aber ich wollte mich ja in Krefeld umgucken. Entschieden hatte ich mich für eine bestimmte Tour und als angemeldeter Blogger gab’s zusätzlich zu den reichlichen Infobroschüren und Sicherheitsanweisungen noch eine Infomappe oben drauf. Unser Tour Guide wies uns nochmal auf die Regeln (Fotografierverbot und Nichtraucherflug … äh .. -fahrt) hin und dann ging’s los :-).

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Erstes Ziel war die Firma ANDRITZ Küsters GmbH einem Spezialisten für Kalander- und Veredlungsprozesse für die Papier-, Vliesstoff- und Textilindustrie. Das lustige, die Firma liegt auf meinem Weg zur Arbeit, so daß ich jeden Morgen daran vorbeifahre und trotzdem kannte ich sie bisher nicht. Kalander? Nie gehört? Ich auch nicht, muß ich ehrlich zugeben, daher hatte ich mich im Vorfeld etwas schlau gemacht. Aber lesen ist nicht sehen und daher war ich gespannt, was mich erwartet. Zur Begrüßung gab es eine kleine Einführung in die Firmengeschichte, der durch Eduard Küsters bereits 1949 gegründeten „Entwicklungsabteilung für Textilmaschinen“. Er war es auch, der die durchbiegungsgesteuerte „Schwimmende Walze“ erschuf, die seit 1956 den Maßstab für die Walzentechnologie setzt. 2006 erfolgte die Übernahme der Küsters-Anteile durch die Andritz AG und hat heute rd. 300 Mitarbeiter in Krefeld.

Soviel Info von der Webseite bzw. aus der Einführung. Mit einem kleinen Sender und einem Ohrclip ausgestattet ging es in die Hallen des Unternehmens. Der Sender übertrug die Stimme desjenigen, der uns durch die Hallen führte, so daß alle etwas verstehen konnten. Diese Idee hat mir sehr gut gefallen. Was ist nun das besondere? Diese Walzentechnologie, so erfahren wir, ermöglicht die Veredelung von Vliesstoff, Textilien und Papier für die Papierindustrie. Ganz vereinfacht ausgedrückt, hat es Eduard Küsters geschafft eine Walze so auf ihr Gegenstück zu drücken, daß der Anpressdruck über die ganze Breite, auch über mehrere Meter, gleich bleibt und nicht zur Mitte hin abfällt. Das ist technisch gesehen vermutlich eine lausige Beschreibung, gibt aber das wieder, was auch betriebsfremde verstehen könnten. Während wir an mannshohen Maschinen vorbeilaufen, hören wir weiter, daß jede Maschine auf Kundenwunsch einzeln angefertigt und auf den Herstellungsprozess abgestimmt wird. Dabei gibt es z.B. Maschinen, die Papier mit über 1000 Meter pro Minute (also über 60 km/h) zwischen den Walzen hindurch jagen oder Vliesstoffe so über beheizte Walzen laufen lassen, daß am Ende ein versandfertiges Produkt entsteht.

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Kommen wir mit den Endprodukten dieser Maschinen in Berührung? Aber sicher, denn die Endprodukte sind in der Papierindustrie zum Beispiel Zeitschriften, Verpackungen oder Spezialpapiere, im Bereich Vliesstoffe, Windeln, Wischtücher, medizinische Artikel, aber auch Agrarvliese z.B. für Erdbeerfelder o.ä. Um eine noch bessere Vorstellung von den Produkten zu bekommen, welche später mit den Maschinen hergestellt werden, gab es für alle Besucher eine Auswahl von Endprodukten in die Hand und damit die Besucher keinen Hungeranfall bekommen, gab’s in der Besuchertasche aus Vlies auch noch eine Laugenbrezel und ein Päckchen Wasser.

Last but not least wurde uns die Forschung an einem „Papier“ vorgestellt, welches demnächst z.B. als feuchtes Toilettenpapier auf den Markt kommt. Gibt’s schon? Ja und nein, denn es soll aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, es soll den Wischtest an eurem Hinterteil bestehen und vor allem es soll sich im (Ab-)Wasser möglichst schnell wieder in seine Bestandteile auflösen, um die Pumpwerke eures Abwasserbetreibers nicht zu verstopfen. Der Clou ist kurze Zellulosefasern mit Wasser zu verfestigen und anschließend durch ein ausgeklügeltes Walzensystem wieder energiesparend zu trocknen. Vielleicht findet ihr dieses neuartige „Papier“ ab 2015 in den Regalen eures Supermarktes.

Die rund 1 1/2 Stunden vergingen wie im Fluge und wenn ihr demnächst mal wieder einen Schwertransporter durch Krefeld fahren seht, der eine große Walze geladen hat, es dürfte eine aus dem Hause Andritz Küsters sein.

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Für den zweiten Teil des Abends ging es nach Krefeld Oppum und dort zum Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn („Fahrzeuginstandhaltung GmbH der Deutschen Bahn AG“, so der offizielle Name seit 2004). Zugkollision mit einem umgestürzten Baum? LKW Ladefläche im Gleisbereich? Abgerissene Stromabnehmer? Reguläre Wartung der Drehgestelle oder Aufhübschung eines Zuges vom Getriebe bis zum Klo … pardon WC-Modul? Alles Aufgaben, die im Ausbesserungswerk (Krefeld ist eines von 12 bundesweit) getätigt werden müssen. Der Start begann auch hier mit einer kleinen Einführung in die Geschichte des Werks, das immerhin seit über 100 Jahren an dem Standort existiert (28 Gleise, 21 Fußballfelder groß). Dazu gab es belegte Brötchen und ein Getränk. Aber die Zeit drängte, daher gab es für jeden einen Schutzhelm und dann ging es in kleinen Gruppen auf das Gelände.

Wußtet ihr, daß jeder ICE turnusmäßig alle 6-8 Jahre durch diese Hallen fährt? Vorausgesetzt es kommt nicht vorher schon zu einem Schaden. Und wenn doch, dann geht es an die Reparatur. Aber je nach Schaden reicht es natürlich nicht aus, nur mal die „Stoßstange“ zu tauschen, sondern da ist Feinarbeit gefragt. Teilweise in Krefeld, teilweise aber auch vor Ort werden Loks und Züge wieder hergerichtet und das nicht nur für Züge der Deutschen Bahn, sondern auch für die Mitbewerber im deutschen Schienennetz. Weiter ging es zu den großen Roten, die ihr vermutlich als RE oder RB auf eurem Fahrplan kennt. Wir durften mal da Platz nehmen, wo sonst nur der Zugführer seinen Platz hat, wir durften mal unter den Wagen gucken und last but not least mal die Notentriegelung (nicht die Notbremse) betätigen. Die Türen öffneten sich einen Spalt breit und konnten danach aufgeschoben werden.

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Die Generalüberholung eines ganzes Zugs dauert übrigens 3-4 Wochen, danach habt ihr das Gefühl ihr sitzt in einem neuen Zug. Nach den Regionalzügen ging es in die 250 Meter lange ICE Halle. Hier wird, wie in einigen andern Hallen auch, nicht nur in drei Schichten sondern auch in drei Ebenen gearbeitet. Wir durften die oberste Etage betreten und einem ICE auf Dach gucken. Wir erfuhren, daß die Oberleitungen in Deutschland mit 15.000 Volt arbeiten, wir erfuhren etwas über die Technik des Stromabnehmers und welche Schutzmaßnahmen sich sonst auf dem Dach befinden, um z.B. bei Über- oder Unterspannung einen Komplettausfall des Zugs zu verhindern. Ist euch schon mal aufgefallen, daß Oberleitungen auf schnurgeraden Strecken in geschwungenen Linien installiert sind und niemals schnurgerade? Der Grund ist, daß sich der Fahrdraht gleichmäßig auf dem Stromabnehmer hin und her bewegt. Andernfalls würde er irgendwann eine Kerbe in die Mitte des Stromabnehmers fräsen.

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Mittlerweile war es nach 22.00 Uhr und am Ende wurde die Zeit tatsächlich noch etwas knapp, denn der Bus für die Rückfahrt wartete schon mit laufendem Motor. Um Punkt 22.30 Uhr sind wir schließlich wieder am Ausgangspunkt angekommen. Auf diesem Weg ein herzliches Dankeschön an alle Organisatorinnen und Organisatoren, ohne die ein solcher Abend nicht möglich wäre. In Krefeld besuchten übrigens 520 Interessierte 12 Unternehmen, insgesamt gab es 2.600 Plätze und 5.300 Bewerbungen.

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